Suse

© Thomas Tjiang

In Gesellschaft von Tux und Geeko: IT-Spezialistin Katrin Murr und Personaler Christian Roch neben den Linux- und Suse-Markenfiguren. Wegen flexiblen Arbeitens und Corona-Pandemie sind sie weitgehend allein im Empfangsbereich am Noch-Stammsitz Nürnberg-Maxfeld.

Die Software des in der Metropolregion entstandenen Unternehmens ist ein elementarer Bestandteil der modernen IT-Welt.

Die in der Öffentlichkeit wenig bekannte Nürnberger Suse Software Solutions GmbH lässt sich gut und gern zu den sogenannten Hidden Champions zählen. Immerhin kommen die Anwendungen der Software-Schmiede u. a. bei mehr als 60 Prozent der Fortune-500-Firmen, also den umsatzstärksten Industrieunternehmen der Welt und den weltweit zehn größten Automobilherstellern zum Einsatz. Die Open-Source-Software wird beispielsweise in Cloud-Angeboten, autonomen Fahrsystemen, Kernspintomografen, Supercomputern für die Wettervorhersage, Satelliten, Zügen und Flugzeugen verwendet. Aber auch in den sozialen Medien, Online-Einkäufen oder Lohnbuchhaltung sind das Betriebssystem Linux und Open Source allgegenwärtig.

Dieser Siegeszug war 1992 noch nicht abzusehen, als vier Studenten in Fürth Suse als Firma zur Software- und System-Entwicklung aus der Taufe hoben. Ein Jahr zuvor hatte ein finnischer Student namens Linus Torvalds eine erste Codezeile veröffentlicht und damit unbeabsichtigt die Open-Source-Bewegung losgetreten. Linux war geboren, das man heute auch unweigerlich mit dem prägnanten Maskottchen Tux verbindet, einen Pinguin. Bis dahin war Unix in der Computerwelt eines der meistgenutzten Betriebssysteme für Server. Es galt als teuer mit langsamen Entwicklungszyklen und erlaubte Anwendern nicht, eigene Anpassungen vorzunehmen. Die Idee hinter Linux war dagegen, eine Unix-Alternative zu schaffen, die Studenten kostenlos nutzen und nach ihren Bedürfnissen weiterentwickeln konnten.

Das Geschäftsmodell der Fürther Garagenfirma, die 1997 den IHK-Gründerpreis Mittelfranken gewann und 1998 ihren Hauptsitz nach Nürnberg verlegte, ist seit damals gleich geblieben. Letztlich wird Software von der Open-Source-Community gemeinschaftlich entwickelt und ist für jeden Nutzer und für jeden Zweck offen zugänglich. Suse entwickelt bis heute diese Software weiter, verfeinert sie, um sie effizienter auf die Bedürfnisse von Unternehmenskunden abzustimmen. Zusätzlich garantieren die Nürnberger beispielsweise Updates und Patches, um die Betriebs-Software sicher am Laufen zu halten. Der Markt gab dem damaligen Start-up Recht, das Wort von Mittelfranken als „Linux Valley“ machte die Runde. Nach einer ersten Linux-Distribution – damals noch auf 40 Disketten – stieg Suse fünf Jahre nach der Gründung zum führenden Distributor in Europa auf und in den nordamerikanischen Markt ein. 1999 wurden Kooperationen mit den Marktriesen SAP, IBM und Oracle vereinbart – die allererste Partnerschaft von Suse besteht bis heute. 80 Prozent aller SAP-Anwendungen, die auf Linux basieren, laufen mit Suse-Software.

Nach der Übernahme durch den US-amerikanischen Netzwerk-Software-Spezialisten Novell wurde der Stammsitz in die USA verlegt. Es folgten zwei weitere Übernahmen, bis 2018 der schwedische Investor EQT Partners sich Suse sicherte. Er positionierte die Software-Schmiede als unabhängigen und einen der weltweit führenden Anbieter von Open-Source-Lösungen für Unternehmen. EQT wiederum überzeugte die erfahrene SAP-Managerin Melissa Di Donato, als Chefin und damit erste Frau an der Spitze bei Suse einzusteigen. In dieser Funktion brachte sie im letzten Jahr auch als erste weibliche Führungskraft ein milliardenschweres Unternehmen an die Frankfurter Börse. Außerdem erweiterte sie das Geschäftsfeld mit zwei Akquisitionen in den USA, die Software-Firmen Rancher Labs und Neuvector.

Neue Spitze, neue Unternehmenskultur

Mit Di Donato zog auch eine neue Unternehmenskultur in Nürnberg ein. Sie hat einen britischen und einen US-Pass, hat an der Universität Russisch studiert, lebt in London und leitet ein deutsches börsennotiertes Unternehmen. Die Managerin, die drei Kinder hat, sieht das als ein gutes Beispiel dafür, wie global Suse aufgestellt ist. Sie unterstreicht als Chefin des Software-Hauses gern die drei Aspekte Offenheit, Dinge zu verbessern und Innovation zu schaffen. Darin spiegeln sich ihr zufolge auch die besonderen Stärken der Open-Source-Welt wider. Zudem resultieren für sie aus der Vielfalt des Denkens der Beschäftigten bessere Entscheidungen bei der Arbeit. „Das sage ich nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich eine CEO bin, deren Aufgabe es ist, ihr Unternehmen erfolgreich zu expandieren“, erklärt Di Donato. Sie kritisiert, dass Technologieunternehmen rund um den Globus in der Vergangenheit von Männern für Männer aufgebaut worden seien. Solche geschlossenen Strukturen wirkten sich negativ auf die Unternehmenskultur und letztendlich auch auf den Geschäftserfolg aus.

Sie selbst beobachte auch heute noch in der Branche eine Art „Tech-Falltür“. Damit meint sie das Phänomen, dass beispielsweise Frauen zunächst erfolgreich aufsteigen, um dann von der Bildfläche zu verschwinden. Das betrifft ihr zufolge aber nicht nur Frauen, sondern alle Menschen, die einen anderen Lebensstil oder andere zeitintensive Aufgaben neben ihrer Arbeit erfüllen. Das seien etwa berufliche Aufsteiger, die nebenbei studieren möchten, Kinder haben oder Familienangehörige betreuen. Sie selbst engagiert sich in der „Technology Group“ des „30%-Clubs“, einer Organisation, die bis 2023 einen Frauenanteil von 30 Prozent in den Vorstandsgremien der Unternehmen aus dem Aktienindex „Standard & Poor‘s 100“ erreichen möchte. Zudem ist Di Donato Mitbegründerin der gemeinnützigen Stiftung „Inner Wings“, um Mädchen durch Mentoring-Programme zu fördern. Nebenbei motiviert sie mit drei Kinderbüchern junge Mädchen, ihre größten Träume zu verwirklichen.

Um auch bei Suse Chancengleichheit, Diversität und Integration zu fördern, hat die Firmenchefin sogenannte „Women-in-Tech-Programme“ eingeführt. Außerdem schafft sie mit ihrer „Agile Workforce Policy“ für die Beschäftigten einen flexiblen Rahmen für Work-Life-Balance. Dieses Programm startete bereits vor der Corona-Pandemie und dem Lockdown und erlaubt die Optionen Homeoffice, eine Kombination aus Homeoffice und zwei Tagen pro Woche im Büro sowie komplette Präsenzarbeit. Ein spezielles Training soll sicherstellen, dass der Arbeitsplatz zu Hause das Wohlbefinden unterstützt, zudem sorgt das Unternehmen bei Bedarf für ergonomische Schreibtischstühle oder Stehpulte. Eine interne Feedback-Plattform erfasst regelmäßig die Zufriedenheit mit der Arbeitssituation.

Umzug an den „Franken Campus“

Außerdem investiert die Software-Schmiede weltweit in neu gestaltete Büros, die Raum für Begegnung und Zusammenarbeit bieten. In Nürnberg steht beispielsweise der Umzug vom verwinkelten Stammsitz am Maxtor in einen modernen Komplex im „Franken Campus“ an, dem einstigen MAN-Areal in der Südstadt. Er soll bis zum September abgeschlossen sein, dem 30. Geburtstag von Suse. Der neue Standort wird aber für die rund 400 Beschäftigten in Nürnberg – intern nach wie vor eines der größten Entwicklungszentren – weniger Büroplatz bieten, weil sich viele Tüftler zu Homeoffice oder hybridem Arbeiten entschlossen haben. Weltweit beschäftigte Suse zum Ende des Geschäftsjahres 2021 (31. Oktober) mehr als 2 000 Mitarbeiter (Vorjahr: 1 600 Beschäftigte) in mehr als 30 Ländern. Im letzten Jahr wurde in Luxemburg die Dachgesellschaft Suse S. A. gegründet.

Di Donato beschreibt das Geschäft mit Open-Source-Software für Unternehmen in Deutschland und Europa als „traditionell stark“, darüber hinaus gehört heute auch Nordamerika zu den Kernmärkten. Für das abgelaufene Geschäftsjahr weist Suse einen Umsatzsprung von rund 15 Prozent auf 576 Mio. US-Dollar aus und übertrifft damit leicht die eigene Prognose. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) steigt auf 212 Mio. US-Dollar. Unterm Strich verbleibt allerdings ein Minus von 207 Mio. Dollar. Für das angelaufene Geschäftsjahr rechnet Di Donato mit einem zweistelligen Umsatzplus im mittleren bis hohen Zehnerbereich.

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(tt.)