Die Mitarbeiter wünschen sich auch nach der Pandemie mehr Flexibilität bei der Arbeit. Wie reagieren die Unternehmen?

Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hat sich auf einen Schlag flexibles Arbeiten unter dem Schlagwort Homeoffice etabliert. Büroarbeiten wurden nach Möglichkeit in die heimischen vier Wände der Beschäftigten verlegt. Fieberhaft wurden technische Ressourcen bereitgestellt, um den Betriebsalltag halbwegs aufrecht zu erhalten. Auf jeden Fall hat die Corona-Pandemie der jahrzehntealten Diskussion über flexible Büro- und Arbeitsformen einen rasanten Schwung verliehen.

Jetzt diskutieren Arbeitgeber vielfach darüber, wie man aus den Erfahrungen für die Zukunft lernen und inwieweit man die erprobten flexiblen Arbeitsformen weiterführen sollte. Eine Schwierigkeit ist dabei häufig die mangelnde Flexibilität bestehender Büroimmobilien, weshalb Marktbeobachter neuen, flexibel geplanten Büroprojekten im Großraum eine gute Zukunft voraussagen. Vor diesem Hintergrund sei es ein Glücksfall, wenn sich neue Büroimmobilien aktuell noch in der Planungsphase befänden und noch Anpassungen an die neuen Kundenanforderungen möglich seien.

Die Stadt Nürnberg ist ein Beispiel für die veränderten Wünsche: Die Stadtverwaltung beschäftigt über 11 500 Mitarbeiter. Vor Corona nutzten wenige Hundert Beschäftigte die Option, von zu Hause aus zu arbeiten, aktuell sind es über 4 000. Eine interne Umfrage hat deutlich ergeben, dass sich die Mitarbeiter auch nach dem Ende der Pandemie flexible Arbeitsformen wünschen. Weil die Stadt im Jahr 2024 mit einigen Dienststellen in einen Teil des Gebäudekomplexes „The Q“, dem ehemaligen Quelle-Versandzentrum in der Fürther Straße, einziehen will, sind die Baupläne für den Gebäudeteil auf die neue Arbeitswelt ausgerichtet worden.

Statt konventioneller Raumplanung wird für die Stadtverwaltung dort erstmals im größeren Stil das sogenannte „New Work“ realisiert. Es richtet sich am sogenannten „aktivitätsbasierenden Arbeiten“ aus, also an flexiblen Arbeitsstrukturen, die sich an den jeweiligen Aufgaben oder Projekten orientieren. Geplant ist nach aktuellem Stand, dass einem Beschäftigten kein fester Arbeitsplatz mehr zugewiesen wird, sondern es lediglich teilweise für Teams eine eigene Art Basis geben soll. Dadurch lässt sich die Bürofläche effizienter nutzen, wenn Mitarbeiter zwischen Präsenz vor Ort und Homeoffice wechseln. Verschiedene Raumlösungen übernehmen die verschiedenen Funktionen im Arbeitsalltag. So wird etwa in Besprechungsräumen diskutiert, in ruhigen Rückzugsräumen konzentriert gearbeitet, telefoniert oder vertraulich gesprochen. Lounge-Ecken oder Küchenflächen schaffen den Rahmen für die soziale Interaktion unter den Beschäftigten. 2024 sollen etwa 1 300 Mitarbeiter, darunter zum Beispiel die Ämter für Digitalisierung und Prozessorganisation, für Informationstechnologie oder auch für Migration und Integration dort einziehen. Technisch müssen die beteiligten Dienststellen so weit digitalisiert sein, dass sie papierlos arbeiten können. Das Büro- und Arbeitskonzept für den neuen Standort im „The Q“ gilt bereits als Vorlage für andere städtische Bereiche, die einmal umziehen werden oder in denen die gegebenen Räumlichkeiten schon jetzt die Einführung der New-Work-Ansätze ermöglichen.

Bei der Nürnberger Datev eG waren zur Jahresmitte noch knapp 90 Prozent der rund 8 200 Mitarbeiter weitgehend im Mobil-Modus und nicht im Büro. Das wachsende Geschäft des Software-Dienstleisters belegt, dass die Produktivität nicht darunter gelitten hat. Insbesondere durch den 2015 eröffneten Stammsitz Datev IT-Campus wurden bereits neue Bürokonzepte für die rund 1 800 Arbeitsplätze baulich umgesetzt. Das erweist sich laut Rainer Schubert, Leiter der Datev-Arbeitsgruppe „Neue Arbeitswelten“, nun als Glücksfall, denn die Arbeitswelt sei ein sich schnell veränderndes System. Schon vor der Pandemie hatte die Datev auch organisatorisch auf neue Führungsanforderungen in einer sich wandelnden Arbeitswelt reagiert. Seitdem sind die klassischen Führungsaufgaben in die drei Rollen Personalführung, Prozesse und Produktentwicklung unterteilt. In der Praxis kann das bedeuten, dass die Leitung eines Teams auch von unterschiedlichen Personen mit verschiedenen Zuständigkeiten wahrgenommen wird.

Für Schubert ist die Pandemie der große Treiber, um die Gestaltung der Arbeit über den Büroraum hinaus zu denken. Aus seiner Sicht ist der eigene Schreibtisch erfahrungsgemäß nicht für alle täglichen Aufgaben und Tätigkeiten immer der geeignetste Ort: „Gerade Kreativität und Innovation finden woanders statt.“ Zumal der Lockdown ganz praktisch aufgezeigt habe, welche neuen Varianten der Arbeit möglich seien. Bei der Datev habe beispielsweise ein Mitarbeiter für ein halbes Jahr aus der Fränkischen Schweiz gearbeitet, einer war als eine Art digitaler Nomade auf Reisen, eine Familie war 14 Wochen im Ferienhaus – inklusive Homeschooling für die kleinen Kinder. Tendenziell zeige sich, dass Beschäftigte künftig mehrheitlich nur noch zwei bis drei Tage die Woche im Büro verbringen wollen. In der Vergangenheit war dagegen mobiles Arbeiten die Ausnahme, die Anwesenheit im Betrieb die Regel. Allerdings habe das Homeoffice nicht nur Vorteile, sondern auch viele Nachteile: Manche Homeworker haben zuhause zu wenig Platz, bei anderen ist die familiäre Situation dafür ungeeignet, wieder anderen fehlt der persönliche Austausch mit den Kollegen.

Alternative Arbeitsorte

Deshalb werden alternative Arbeitsorte benötigt – sozusagen ein Mittelding zwischen der Arbeit im Betrieb und in den eigenen vier Wänden. Im Hinterkopf hat Schubert die anspruchsvolle Idee, dass Arbeitsorte zeitlich nicht weiter als eine Viertelstunde vom Wohnort entfernt sein sollten. Vorbild für ihn ist das Konzept „Die 15-Minuten-Stadt Paris“ oder ein Ansatz auf Bundesebene in der Schweiz. Aus dieser Vision leitet er seine Idee des „dritten Ortes“ ab: Um in 15 Minuten zum Arbeitsplatz zu kommen, stellt sich Schubert sowohl im ländlichen Raum als auch in Städten eine Art Satellitenring vor. Das könnten zum Beispiel Coworking-Büros oder auch Workstations in Büros anderer Firmen sein. Für diese kühne Vision sucht Schubert Mitstreiter. „Allein kann ein Unternehmen keine breite Nachfrage und Dynamik schaffen.“

Klar ist aber auch, dass die Datev-Standorte ihre Rolle als zentraler Arbeits- und Identifikationsort nicht verlieren werden. Zur Büroarbeit kämen neue Schwerpunkte wie soziale Interaktion, Gemeinschaft, Kommunikation, Kollaboration und Kreativität hinzu. Denn virtuell ließen sich beispielsweise neue Mitarbeiter kaum effizient in ein Team integrieren. Gleichzeitig müssten Informationsflüsse neu und systematisch organisiert werden, damit Präsenzmitarbeiter keinen Informationsvorsprung gegenüber Home- oder Coworkern bekommen.

Auch die Nürnberger Beratungsgesellschaft BlackBox/Open GmbH & Co. KG treibt das Thema New Work und die entsprechende Organisationsentwicklung voran. Die Erfahrungen des Homeoffice im Lockdown führen an die „Grenzen der Kreativität“, so Geschäftsführer Dr. Colin Roth. BlackBox/Open fördert den Austausch über das Arbeiten der Zukunft mit ihrer eigenen Veranstaltungsreihe „HR-Expert Night“, außerdem beschäftigt sie sich ebenfalls mit der Idee des dritten Ortes neben Büro und Homeoffice.

Das virtuelle Führen von räumlich verteilten Teams verlangt aber laut Roth auch die Abkehr von „Delegation und Kontrolle“ als alleinige Führungsaufgabe. Vielmehr bedeute die zukünftige Leiteraufgabe, soziale Beziehungen, Gemeinschaft und Netzwerke bei den Mitarbeitern zu organisieren. Das nage an althergebrachten Rollen in der Hierarchie: „Die Führungskräfte der Zukunft geben Verantwortung und ein Stück Macht ab, um herauszufinden, dass sie dadurch mehr Einfluss und Macht gewinnen.“

Die Siemens AG hat zur Jahresmitte ihr neues Konzept „New Normal Working Model“ für ortsunabhängiges Arbeiten im Gesamtkonzern verabschiedet. Damit etabliert Siemens nach seinen Lockdown-Erfahrungen mobiles Arbeiten als Kernelement der „neuen Normalität“. Demnach können alle Beschäftigten weltweit im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten, wenn es sinnvoll und machbar ist. Zusätzlich werden lokale gesetzliche Anforderungen berücksichtigt. Weltweit hatten Siemens-Mitarbeiter mehrheitlich ihren Wunsch nach mehr Flexibilität und individuellen Lösungen beim Arbeitsort bestätigt. Auch hier bezieht sich mobiles Arbeiten ausdrücklich nicht nur auf das Homeoffice. Vielmehr soll der Mitarbeiter – in Absprache mit der Führungskraft – denjenigen Arbeitsort wählen, an dem er am produktivsten ist. Dieses hybride Arbeitsmodell schließt ausdrücklich beispielsweise Coworking-Büros mit ein.

Damit verbunden ist auch ein anderer Führungsstil, „der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro“, erläuterte jüngst Vorstandsvorsitzender Roland Busch. Eine zentrale IT-Plattform gibt Führungskräften und Mitarbeitern alle relevanten Informationen zum neuen Arbeitsmodell an die Hand und unterstützt Leiter mit spezifischen Trainings für die neue Arbeitsweise.

Auch die Nürnberger Versicherung entwickelt aktuell unter der Überschrift „FutureWork:N“ ein neues Arbeitsmodell für die Zukunft. Die firmeneigene Lösung soll „‚standardisierte Flexibilität im Hinblick auf den Menschen, die Arbeitszeit und den Arbeitsort“ bieten, teilt der Versicherer mit. Darin fließen die Erfahrungen aus der Distanzarbeit in Pandemiezeiten ein. Dazu gehören auch die Grenzen beim virtuellen Arbeiten, wenn es um soziale Kontakte geht. Allerdings hatte schon in den Jahren zuvor ein Teil der Innendienst-Belegschaft von zu Hause aus gearbeitet.

Die konzeptionellen und organisatorischen Herausforderungen dürfen allerdings nicht die arbeitsrechtlichen Aspekte in den Hintergrund rücken. Immerhin wurde zur Jahresmitte die Homeoffice-Pflicht der Corona-Arbeitsschutzverordnung wieder abgeschafft. Klar ist aber auch, dass der Begriff Homeoffice im Gegensatz zum mobilen Arbeiten im engeren Sinne der bekannten Telearbeit entspricht und damit der Arbeitsstättenverordnung unterliegt.

Generell ist Homeoffice als Telearbeit einzelvertraglich zu regeln. Darüber hinaus lassen sich Rahmenbedingungen in einer Betriebsvereinbarung festlegen. Darin kann es um die erforderlichen digitalen Arbeitsmittel, zusätzliches Büromobiliar und Erfassung der Arbeitszeit gehen. Aber auch so knifflige Fragen wie Betretungsrecht der Mitarbeiterwohnung, um den Arbeitgeberpflichten bei Aspekten wie Arbeitssicherheit und Datenschutz nachkommen zu können, müssen rechtssicher geklärt werden.

Autor: (tt.)