Der Mittelstand gilt nicht nur als Rückgrat der deutschen Wirtschaft, sondern auch als Wiege vieler Innovationen, die das Leben und die Arbeit von Millionen Menschen prägen. Der Hype um die Künstliche Intelligenz (KI) liefert also eigentlich eine Steilvorlage für neue Geschäftsmodelle und Innovationen. Doch wie steht es tatsächlich um die Integration von KI in den Unternehmensalltag und die Dienstleistungs- und Produktwelt?

Die Künstliche Intelligenz ist eine überaus komplexe Materie mit unzähligen Dimensionen, die sowohl für den Einzelnen als auch für eine Organisation nur äußerst schwer in ihrer Gesamtheit zu erfassen ist. Wenn ein Unternehmer über den Einsatz von KI nachdenkt, muss er sich zunächst die Frage stellen, inwieweit diese Zukunftstechnologie für ihn Relevanz hat. Eine genaue Analyse ist unerlässlich, um u. a. diese Fragen zu klären: Wie wird KI den eigenen Markt verändern? Welche Potenziale und Risiken ergeben sich für die eigene Organisation? Welche Konsequenzen hat KI für das eigene Geschäftsmodell und eröffnen sich neue Marktchancen? Welche KI-Maßnahmen passen in die betrieblichen Strukturen und Prozesse?

In der öffentlichen Diskussion fällt auf, dass – vielleicht typisch deutsch – mögliche Risiken von KI im Vordergrund stehen. Natürlich müssen Aspekte wie Datenschutz und Datensicherheit sorgfältig behandelt werden, aber diese können durch den Einsatz der richtigen KI-Tools beherrscht werden. Auf dem Markt gibt es bereits die ersten KI-Produkte, die den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprechen. Deshalb sollten die unternehmerischen Potenziale von KI stärker in den Fokus gerückt werden – inklusive gewisser Risiken des Scheiterns, die nie auszuschließen sind, wenn man Neuland betritt. Eine hundertprozentige Erfolgsgarantie bietet selbstverständlich auch KI nicht.

Entlastung von eintönigen Tätigkeiten

Grundsätzlich kann KI dabei helfen, monotone Tätigkeiten wie die Erstellung von Protokollen, Texten und Aufstellungen zu automatisieren. Dadurch werden die Mitarbeiter entlastet und sie können sich verstärkt qualitativen und kreativen Tätigkeiten widmen. Dies führt auch zu einer Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit. KI kann zudem helfen, Expertenarbeit zu erleichtern, indem millionenfache Datensätze automatisiert aufbereitet werden – ein echter Gewinn für Marketing, Verkauf und Beratungsleistungen. Algorithmen und maschinelles Lernen sorgen für mehr Effizienz in Prozessen und Produktion. Die Integration beispielsweise von Software-Robotern und Chatbots in Auftragsabwicklung, Service oder Recruiting sind weitere, mittlerweile in der Praxis erprobte Einsatzfelder von KI. Relevante, gut aufbereitete Daten zu den Wünschen der Kunden sind zentral für Marketing und Vertrieb. Sie sind die Basis, um die Kunden noch besser, noch genauer auf die Zielgruppen abgestimmt und weitgehend automatisiert anzusprechen.

Texterstellung mit ChatGPT

Buchstäblich in aller Munde, aber begrifflich sperrig sind die sogenannten „Generative Pretrained Transfomers (GPT, daher auch der Name ChatGPT) Large Language Models“. Hierbei handelt es sich um generative, vortrainierte, große Sprachmodelle, also eine Form von Künstlicher Intelligenz, die darauf trainiert wurde, menschliche Sprache aufzunehmen und zu verstehen. Sie lernt, indem sie riesige Mengen an Texten „liest“ und so ein Verständnis für die Sprache und ihre Strukturen entwickelt. Diese Modelle können verwendet werden, um neue Texte zu schreiben, die wie natürliche Sprache, Worte, Sätze und Absätze klingen. Im Prinzip also ein KI-Schriftsteller, der auf Basis von menschlichem Texten lernt, neue Texte zu erstellen.

Höhere Produktivität erreichen

Gerade in Hochlohnländern wie Deutschland kann generative KI einen starken Produktivitätsgewinn bedeuten. So schätzt das Beratungsunternehmen McKinsey & Company den weltweilten Produktivitätszuwachs auf 2,6 bis 4,4 Billionen US-Dollar ein. Und in einer aktuellen Forschungsarbeit zeigen Shakked Noy und Whitney Zhang (veröffentlicht im „Science Magazine“), dass der durchschnittliche Zeitaufwand bei textbasierten Aufgaben wie dem Schreiben von Pressemeldungen, heiklen E-Mails oder Kurzberichten um 40 Prozent gesunken und gleichzeitig die Qualität der Arbeit um 18 Prozent gestiegen ist. So erfüllen GPT-Modelle schon jetzt eine Vielzahl von Aufgaben. Diese reichen von der Erstellung neuer Inhalte über das Schreiben von Programm-Codes bis hin zum Extrahieren von Texten und Daten aus Dokumenten.

Aufgaben automatisieren

Spezifischer kann die Technologie zur Automatisierung und Verbesserung von vielen unterschiedlichen Aufgaben eingesetzt werden. Einige Beispiele: Sie kann Texte zusammenfassen, Protokolle erstellen, Sprachen übersetzen oder originäre Texte (z. B. für Social Media, Website, Shop etc.) schreiben. Der große Vorteil dieser Modelle liegt in ihrer Geschwindigkeit und dem Umfang, in dem sie eingesetzt werden können. Beispielsweise dürfte es mehrere Stunden dauern, einen Artikel über Quantencomputer zu recherchieren, zu schreiben und zu editieren. Ein GPT-Modell kann einen solchen Artikel in wenigen Sekunden erstellen. Entsprechend helfen GPT-Modelle den Unternehmen dabei, ganz neue Produktivitätsniveaus zu erreichen sowie ihre Anwendungen und die Kundenerlebnisse neu zu gestalten. Das große Problem ist (noch), dass die GPT-Modelle keine Wissensmodelle sind. Sie generieren Text auf Basis von statistischen Wahrscheinlichkeiten der jeweils nächsten Wörter und nicht aufgrund des Inhalts. Es gibt zudem auch andere GPT-Modelle, die nicht auf Text, sondern Bilder, Videos oder Musik trainiert wurden. Diese können nun analog zu ChatGPT auch Inhalte wie Bilder, Videos oder Musik generieren.

Während große Konzerne bereits eigene GPT-Lösungen bauen (insbesondere aufgrund von Datenschutz und Datensicherheit), fehlen dem Mittelstand dafür häufig die Ressourcen. Neben finanziellen Mitteln ist dies laut einer aktuellen Veröffentlichung des Mittelstandsverbund ZGV vor allem fehlendes Know-how. Der Bedarf an datenschutzkonformen KI-Lösungen ist vorhanden. Glücklicherweise existieren bereits erste Anwendungen, die diesen Bedarf decken.

Vor welchen Herausforderungen steht ein Unternehmen, wenn es KI nutzen will und welche Fehler sollte es vermeiden? Zunächst einmal darf die Entwicklung einer KI-Lösung nicht isoliert, quasi im digitalen Elfenbeinturm des IT-Teams, erfolgen. Vielmehr müssen klare Ziele definiert werden, um festzulegen, was man mit dem Einsatz von KI erreichen will. Dabei geht es vor allem darum, wie KI in das eigene Geschäftsmodell integriert werden könnte. Auf dieser Basis werden Teams zusammengestellt und gemeinsam Projekte entwickelt, die dann in die betrieblichen Strukturen integriert werden. Dabei müssen die Schnittstellen von Anfang an klar definiert werden. Und: Bereits vor Projektstart müssen Ziel und Nutzen einer neuen Anwendung im Team klar und nachvollziehbar kommuniziert werden. Wird all dies gewährleistet, kann generative KI zu einem enormen „Produktivitäts-Booster“ werden.

Autor/in: Dr. Stefan Wolpert ist Leiter Consulting bei der Nürnberger Niederlassung der Nexum AG mit Sitz in Köln (stefan.wolpert@nexum.comwww.nexum.com).
Quelle: WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2023